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Die Villa Rustica bei Leutstetten

Der fast 2000 Jahre alte, römische Gutshof im Leutstettener Moos nahe der Würm

 

Die Villa Rustica

Wer von Percha nach Leutstetten durch das Leustettener Moss wandert, trifft etwa auf halber Strecke auf den Glaspavillion der Villa rustica. Dort sind Ausgrabungen und Fundstücke eines römischen Gutshof aus dem Jahr 133 nach Christus zu besichtigen.

Einmal angenommen Sie wandern ca. im Jahr 150 nach Christus vom heutigen Leutstetten durch das Leutstettener Moos in Richtung heutiges Starnberg. Etwa auf halber Strecke taucht vor Ihnen ein römischer Gutshof auf und wenn Sie Glück haben, wird Sie der Eigentümer des Gutshofes freundlich empfangen. Er könnte sich in etwa so bei Ihnen vorstellen: „Guten Tag, ich bin Publius Iulius Pintamus, Sohn des Gaius aus der Tribus Quirina. Ich bin ein Veteran der Römischen Armee und stamme aus Augusta Bracara in der Provinz Hispania Citerior“. Möglicherweise hätten Sie Probleme damit Herrn Pintamus zu verstehen, denn wahrscheinlich sprach er entweder Latein oder portugiesisch, denn der Ort aus dem er stammte – Braga – liegt im Norden von Portugal.

Wenn Herr Pintamus Wert auf Gastfreundschaft gelegt hat, dann wären Sie in den Genuß gekommen sich seinen schönen Gutshof ansehen zu dürfen. Sollte er einen abweisenden Eindruck gemacht haben, so wäre es besser gewesen sich schleunigst entfernen. Herr Pintamus war nämlich Decurio einer Ala – der Anführer einer Reitertruppe der römischen Armee von ca. 30 bis 60 Mann, die zu einem Verbund von mindestens 500 Mann gehörten. Mit Sicherheit aber jemand, dem man nicht im falschen Moment begegnen sollte! Wir gehen aber davon aus, dass er, nachdem er sich am Starnberger See niedergelassen hatte, freundlich gesinnt gewesen ist. Den Gutshof betrieb Herr Pintamus mit seiner Frau Clementia Popeia. Dies schliesst man aus einem alten, römischen Grabstein, der in der Filialkirche St. Alto in Leutstetten unter einem Seitenaltar eingemauert ist und dessen Inschrift die oben genannten Informationen über Pintamus und seine Frau Clementia preis gibt. Der Stein wurde vermutlich von Frau Pintamus nach dem Ableben ihres Gatten in Auftrag gegeben.

Der Ammersee ist wegen seiner guten Windverhältnisse beliebt bei Seglern und Surfern. Hier ein Blick vom Südwestufer Richtung Nordost

Der Ammersee ist wegen seiner guten Windverhältnisse beliebt bei Seglern und Surfern. Hier ein Blick vom Südwestufer Richtung Nordost

Vom „besten Ehemann“ ist die Rede und davon, dass Pintamus nach seiner Armeezeit dem Stadtrat eines Municipium – einer größeren römischen Siedlung – angehörte. Dieser Stein wird mit dem römischen Gutshof – der „Villa rustica“ – in Verbindung gebracht, da er mit einem stolzen Gewicht von fast 1000 Kilo sicher nicht von sehr weit her zur Kirche St. Alto transportiert wurde. Vollständig bewiesen ist die These des Veteranen, Stadrates und späteren Gutsbetreibers Pintamus nicht aber die in der Nähe des Hofes gefundenen Brandgräber und die Grabplatte in der Kirche St. Alto in Leutstetten lassen diese Auslegung sehr plausibel erscheinen. Die Grabplatte – so vermutet man – dürfte einst Teil eines größeren Grabmals gewesen sein. Wo dieses ursprünglich gestanden haben könnte ist unbekannt.

Villa rustica - Eine vergrabene Sensation

Aber zurück zum römischen Gutshof „Villa rustica“. Dieser lag einige Kilometer südlich von Gauting, das zur damaligen Zeit Bratananium hieß und einen kleineren, römischen Siedlungsschwerpunkt darstellte. Bratananium (Gauting) lag an einer Römerstrasse, die von Augsburg nach Salzburg führte und dabei Teile des Fünfseenlandes durchquerte. Solche römischen Siedlungen wurden häufig durch umliegende Gutshöfe mit Nahrung und Rohstoffen versorgt. Dies könnte auch im Fall der Villa rustica so gewesen sein. Pintamus war von Geburt an freier römischer Bürger und diente in einer Hilfstruppe (Auxiliartruppe) von denen es nicht sehr viele gab. Eine davon war in Britannien stationiert, die andere in Raetien (Süddeutschland). Es ist also möglich, dass er schon vor seinem Ruhestand als Soldat in unserer Gegend war und sich später dazu entschloss, hierher zurückzukehren. Er schied im Alter von ca. 40 Jahren nach 25-jährigem Militärdienst aus der römischen Armee aus und könnte danach einige Zeit in Augusta Vindelicorum (Augsburg) gelebt und dort den Posten eines Stadtrates besetzt haben. Für eine Berufung in dieses Amt war ein nicht unwesentliches Vermögen notwendig. Dann aber erfolgte sie auf Lebzeit. Das Pintamus Stadtrat in Augsburg war, ist eine Vermutung. Die Inschrift auf dem Grabstein mit der Angabe, wo er sein Amt ausführte, konnte bis zum heutigen Tag nicht vollständig entziffert werden. Auch ist nicht gänzlich geklärt, wie genau Pintamus das Amt eines Stadtrates erhielt. Hierfür waren bedingungslose Integrität, eine freie Geburt (diese hatte er) und wie schon erwähnt ein gewisses Vermögen notwendig. Auch musste er den Status eines Beamten erlangt haben oder sich auf andere Weise um die Stadt verdient gemacht haben. Wie Pintamus zu Amt und Ehren kam, wie er seine spätere Frau Clementia Popeia kennenlernte und auf welchen Wegen die beiden schlussendlich an den Starnberger See kamen ist schwer zu rekonstruieren.

In dem Buch „Ein Fenster in die Römerzeit“ der Autoren Stefan Mühlemeier und Michael Peters, das als Band 2 der Reihe „Starnberger Stadtgeschichte“ erschienen ist, schreibt die Archäologin Ines Gerhardt sehr anschaulich einen rekonstruierten Lebenslauf des Publius Iulius Pintamus und wie sich alles zugetragen haben könnte.

Jedenfalls kann angenommen werden, dass Pintamus und seine Gattin den Gutshof bei Leutstetten vor fast 2000 Jahren bewirtschaftet haben. Der Gutshof befand sich in einer sehr schönen Lage. Nimmt man an, dass der Wasserspiegel des Starnberger Sees zur damaligen Zeit noch um einiges höher gewesen sein dürfte und die Bewaldung nicht vorhanden war, dann handelte es sich hier um einen Gutshof der fast am Ufer des Sees lag und von dem aus man das Alpenpanorama sehen konnte. Trotz der traumhaft schönen Lage war die Bodenqualität nur mittelmässig und so wurde der Hof nur für eine Zeit von etwa 50 Jahren bewirtschaftet. Was genau mit dem Gut nach Pintamus Tod geschah ist ebenfalls unklar.

Die Jahre gingen ins Land und langsam fing der Hof an zu verfallen und die Gebäude brachen in sich zusammen. Viel von dem noch verwendbaren Baumaterial wurde wohl später abtransportiert und für andere Bauten in der Gegend verwendet. Dann wurden die nicht mehr verwertbaren Reste des Hofes entweder absichtlich mit Erde bedeckt, um das Gebiet landwirtschaftlich nutzbar zu machen oder es legte sich im Lauf von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten eine Schicht aus Humus darüber und begrub die Reste unter sich. Irgendwann jedenfalls war von dem ehemals stolzen Gutshof an der Oberfläche nichts mehr zu sehen. So schlummerte dieser über Jahrhunderte unter der Erde.

Im Jahr 1978 wurden dem Landesamt für Denkmalpflege die ersten Funde auf dem Areal der Villa rustica gemeldet. Nachdem der damalige Konservator des Landesamtes – Dr. Erwin Keller – den Ort besucht hatte, wurde die Stelle beim Denkmalamt als römische Siedlungsstelle vermerkt. Trotzdem wurde der Boden weiterhin landwirtschaftlich genutzt und gepflügt.

Mit Steinkörben, sogenannten Gabionen, wurden die ermittelten Grundmauern der Villa rustica sehr anschaulich nachgebildet

Mit Steinkörben, sogenannten Gabionen, wurden die ermittelten Grundmauern der Villa rustica sehr anschaulich nachgebildet

Die Nachbildung der im Brunnen gefundenen Terra Sigillata-Schüssel des französischen Töpfers Cinnamus und der römischen Schreibtafel

Die Nachbildung der im Brunnen gefundenen Terra Sigillata-Schüssel des französischen Töpfers Cinnamus und der römischen Schreibtafel

Villa rustica - Auferstanden nach 1800 Jahren

Ende des Jahres 2001 entschloss sich die „Gesellschaft für Archäologie und Geschichte Oberes Würmtal e. V.“ mit Sitz in Gauting zu einer sogenannten Rettungsgrabung. Im Dezember 2001 wurde mittels eines Minibaggers der Humus abgetragen und so die ersten Ziegel freigelegt. Von dieser Stelle aus grub man weiter und konnte schon nach relativ kurzer Zeit die ersten Mauerzüge freilegen. Sämtliche Arbeiten erledigten freiwillige Helfer der GfdA. Alle gefundenen Teile wurden gewaschen, katalogisiert und anschliessend im Depot der GfdA in Gauting sorgfälltig eingelagert. Die Archäologen stellten bei ihren Grabungen anhand der fehlenden Mauersteine fest, dass die Reste der Gutshof-Ruine schon in früherer Zeit für andere Bauwerke in der Umgebung benutzt und abtransportiert wurden. Aus purem Zufall scheint dem „Abbruchtrupp“ damals aber der Hauptraum und dort im Besonderen die integrierte Fussbodenheizung – das sogenannte Hypocaustum – nicht aufgefallen zu sein. Diesem Zufall verdanken es die Archäologen, dass sie nach gut 1800 Jahren in der Villa rustica die fast vollständigen Reste dieses Heizsystems zu Tage befördern konnten. Ein weiteres Highlight für die Archäologen war die Zisterne (Brunnen), die man unmittelbar neben der Villa rustica entdeckte. Mittels der noch im Brunnenschacht vorhandenen Eichenbohlen, die einst die Wände stützten, konnte vom Labor für Dendrochronologie des Landesamtes für Denkmalschutz ermittelt werden, dass diese Eichen um das Jahr 133 n. Chr. gefällt wurden. Ausserdem war diese Zisterne wohl irgendwann unbrauchbar geworden und möglicherweise waren es schon Pintamus und seine Frau, die das Brunnenloch sozusagen als „Mülleimer“ verwendeten. Hier fanden die Archäologen neben Geschirrresten auch eine Terra Sigillata-Schüssel (eine bestimmte Form römischen Tafelgeschirrs), die von einem Töpfer namens Cinnamus hergestellt wurde, der seine Töpferei in der Nähe des heutigen Ortes Lezoux in Frankreich betrieb. Auch zwei Hausschlüssel und eine Schreibtafel waren unter den gefundenen „Kostbarkeiten“ aus dem Brunnen.

Aus der Inschrift dieses Grabsteines geht die Geschichte von Pintamus und seiner Frau Popeia hervor. Das Bild zeigt die Nachbildung aus der Villa rustica

Aus der Inschrift dieses Grabsteines geht die Geschichte von Pintamus und seiner Frau Popeia hervor. Das Bild zeigt die Nachbildung aus der Villa rustica

Im nahen Umkreis um die Villa rustica fanden die Archäologen diverse Bruchstücke des Wandverputzes und konnten so ermitteln, dass der Gutshof in den Farben Pompejanischrot, und Ocker gestrichen war. Schmale rote, grüne und schwarze Linien auf diesen Mauerresten stammen wahrscheinlich vom Dekor der Wände.

Es wird davon ausgegangen, dass diese mit kassettenartigen Farbfeldern bemalt waren. Bei den Ausgrabungen stellte man fest, dass der Gutshof einigen bereits archäologisch erfassten Höfen in Britannien in seiner Bauweise sehr ähnlich war. Die Vermutung liegt nahe, dass Publius Iulius Pintamus mit seiner Reiterarmee auch in Britannien gewesen sein könnte und sich von dem dort üblichen Baustil für seinen Gutshof inspirieren ließ. Gesichert ist diese Theorie jedoch nicht.

Vielleicht war auch ein Baumeister der Villa rustica irgendwann in seinem Leben in Britannien gewesen und hat den dort gesehenen Baustil beim Bau des Gutshofs in Leutstetten mit eingebracht. Bei den Grabungen an der Villa rustica in Leutstetten machten die Archäologen einen weiteren, hochinteressanten Fund. In einer Pfostengrube fand man einige Gefäße, die mindestens 200 Jahre älter sind als die römische Villa. Sie konnten der keltischen Latènezeit zugeordnet werden und geben den Archäologen Grund zu der Annahme, dass es am Standort der Villa rustica oder in unmittelbarer Nähe schon früher eine keltische Siedlung gab. Nachdem auf dem Areal der Villa rustica alle Grabungsarbeiten abgeschlossen waren und jedes gefundene Teilchen katalogisiert, nummeriert und fachgerecht eingelagert war stellte sich die Frage, wie nun weiter vorgegangen werden sollte

Nach einigen Diskussionen einigte man sich bei der Villa rustica auf die sogenannte „Vitrinenlösung“

Nach einigen Diskussionen einigte man sich bei der Villa rustica auf die sogenannte „Vitrinenlösung“

Das Hypocaustum (Fussbodenheizung) konnte nicht so einfach abtransportiert werden. Ausserdem wollte man den Fund der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Die Vorraussetzungen waren nicht einfach, denn die Grabungsstätte liegt auf einem Acker zwischen Leutstetten und Starnberg. Es gibt dort weder Strom noch fliessend Wasser. Nach langen Diskussionen entschied man sich für die sogenannte „Vitrinenlösung“. Dabei wurde der Grundriss der Villa rustica mit der freigelegten Fußbodenheizung mittels eines Flachdaches, das auf 18 tragenden Stahlrundstützen steht, überdacht. Die Aussenwände der „Vitrine“ wurden komplett mit Glas versehen, um den Besuchern die Möglichkeit zu geben, die Ausgrabung von allen Seiten zu betrachten. Um den Glasbau herum wurden die Grundmauern der römischen Villa durch Steinkörbe, sogenannte Gabionen, nachgebildet. So bekommt der Besucher einen guten Eindruck über die genauen Abmessungen des Gutshofes sowie der Aufteilung der einzelnen Räume und ihre Verwendung. Im Inneren des Glasbaus wurden einige Nachbildungen von Fundstücken zur Ansicht ausgestellt. Darunter die Grabplatte aus der Kirche St. Alto, einige gut erhaltene Tonziegel, die im Brunnen gefundenen Schlüssel, die Terra Sigillata-Schüssel und die römische Schreibtafel. Neben der Glasvitrine und den Mauernachbildungen wurde ein kleiner „Aussichtshügel“ aufgeschüttet um den Besuchern auch einen leicht erhöhten Ausblick auf die Anlage zu ermöglichen. Die Villa rustica in Leutstetten macht Geschichte, die im Fünfseenland vor fast 2000 Jahren stattfand, anschaulich und erlebbar. Der Dank für diese großartige Leistung geht an die Gesellschaft für Archäologie und Geschichte Oberes Würmtal e. V., den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, die tatkräftige Unterstützung der „Fachleute“ und schlussendlich natürlich einigen „Finanzspritzen“ ohne die ein solches Projekt nicht umzusetzen ist.

Die Villa Rustica bei Leutstetten

Weitere Informationen

GPS-Koordinaten

48°01.113 min.Nord

11°22.222 min.Ost

Kontakt:

keine Angabe

Bemerkung:

keine Angabe

Öffnungszeiten:

Die Ausgrabungsstätte Villa rustica bei Leutstetten kann ganzjährig von außen besichtigt werden.

Links zur Villa Rustica

Gesellschaft für Archäologie und Geschichte – Oberes Würmtal e. V. http://www.gfag-gauting.de


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Bei Renovierungsarbeiten in der Filialkirche St. Alto in Leutstetten wurde der römische Grabstein unter dem rechten Seitenaltar entdeckt

Bei Renovierungsarbeiten in der Filialkirche St. Alto in Leutstetten wurde der römische Grabstein unter dem rechten Seitenaltar entdeckt

In der Villa rustica sind auch einige Original-Fundstücke ausgestellt. Rechts oben im Bild sind Stücke des bemalten Wandputzes zu sehen

In der Villa rustica sind auch einige Original-Fundstücke ausgestellt. Rechts oben im Bild sind Stücke des bemalten Wandputzes zu sehen