Die Votivkapelle
Seit den Sommermonaten des Jahres 1886 hatten sich die Ereignisse überschlagen. Bayern war in einen Zustand der vollständigen Lähmung gefallen. Die Gerüchte, wonach der König am Ufer des Starnberger Sees bei Berg ermordet wurde wollten nicht verstummen. Noch immer hatte man dem dahingeschiedenen Monarchen, der vom bayerischen Volk verehrt und geliebt wurde, kein Denkmal gesetzt. Einzig die Mutter Ludwigs, Königin Marie, hatte 1887 – ein Jahr nach seinem Tod – überhalb der Stelle an der er sein Leben aushauchte, eine Totenleuchte errichten lassen. Einsam leuchtete ihr Licht hinaus auf den von Ludwig so geliebten Starnberger See. Aber war dies ein würdiges Denkmal für einen Märchenkönig?
Konnte eine kleine steinerne Laterne das einzige Andenken an einen König sein, der sein Leben lang immer nur Schönes erschaffen wollte? Der Bayern die Schlösser schenkte, von denen die Tourismusindustrie noch heute zehrt? Die Bayern weit über seine Grenzen hinaus bekannt und berühmt machten? Fast zehn Jahre lang stand diese Totenleuchte einsam und als einzige Erinnerung an den Märchenkönig Ludwig Friedrich Wilhelm II. nahe von Schloss Berg, in das sich der König viele Jahre vor seinen Amtsgeschäften flüchtete und in dem ihn ein so tragisches Schicksal ereilen sollte. Was war geschehen? Gezwungenermaßen musste Ludwig sich 1866 am Krieg zwischen dem Deutschem Bund und Preussen beteiligen. Bayern hielt am Bundesrecht fest. Bismarck brach dieses Recht nicht nur sondern zerstörte den Bund als er in Sachsen, Hannover und Kurhessen einmarschierte. Der Deutsche Bund garantierte die Souveränität Bayerns und so blieb Ludwig nur die Alternative sich an die Seite Österreichs zu stellen und das bedeutete Krieg.
Auch der Ministerrat entschied sich einstimmig für die Seite Österreichs und den Deutschen Bund. Am 16. Juni 1866 begann Preussen den Deutschen Krieg. Diesen Krieg gewannen die Preussen und Bayern musste nicht nur einige Gebiete abtreten sondern auch 30 Millionen Gulden Kriegskostenentschädigung an Preussen zahlen. Doch schon wenige Jahre später war Ludwig erneut gezwungen sich an einem Krieg zu beteiligen. Diesmal an der Seite von Preussen gegen Frankreich. Ludwig wollte keine Kriege – schon gar nicht gegen Frankreich. Doch sein Kriegsminister Siegmund von Pranckh hatte die Weichen bereits gestellt und den Preussen ohne Rücksprache mit dem König zugesichert, sie mit 55000 Mann im Krieg zu unterstützen. Für den Kriegsbeitritt forderte von Pranckh und das Ministerium vom Landtag die Bewilligung von 26,7 Millionen Gulden, die auch bewilligt wurden. Dem König graute vor diesem Krieg. Er wollte lieber weitere Schlösser bauen und seine Zeit mit Richard Wagner verbringen. Die Baukosten der Schlösser wurden aus König Ludwigs privater Kabinettskasse getragen. Dem König standen pro Jahr 4,2 Millionen Gulden für private Ausgaben zur Verfügung. 1884 hatten sich in dieser Kasse jedoch Schulden in Höhe von 7,5 Millionen Gulden angehäuft, die durch Anleihen gedeckt werden mussten. Ludwig dachte jedoch nicht im Traum daran seine Bauvorhaben einzustellen.
Erst knapp 10 Jahre nach dem Tod von König Ludwig II. wurde überhalb der Todesstelle, nahe Berg, die Votivkapelle zum Gedenken errichtet
Wahrscheinlich dachte er wenn man für sinnlose Kriege 60 Millionen Gulden ausgeben kann, dann kann man, um etwas Schönes zu erschaffen, mindestens ebensoviel ausgeben. Er baute fleißig weiter. Ludwig zog sich immer mehr zurück. Er schloss sich auf Neuschwanstein ein und war für niemanden zu sprechen. Oft mussten ihn seine Minister, um eine Unterschrift zu erhalten, auf entlegenen Berghütten aufsuchen. Zunehmend machte man sich Gedanken über die ständige Abwesenheit des Königs und sein „verschrobenes“ Verhalten.
Anfang 1886 beantragte Ludwig vom Kabinett eine Bürgschaft für einen Kredit über 6 Millionen Gulden, die ihm aber verweigert wurde. Ludwig wandte sich an Bismarck, der ihm den Rat gab, seinem Ministerium den Befehl zu geben, die erforderliche Summe im Landtag zu beantragen. Gerüchten zufolge soll es Angebote von Bankiers gegeben haben, diese Summe privat zu finanzieren. Diese Angebote sind dem König aber allem Anschein nach nie vorgelegt worden. Anstatt dem Befehl Ludwigs zu folgen und die Bereitstellung der gewünschten Summe in den Landtag einzubringen, schmiedeten seine Minister den Plan der Entmündigung.
Zuvorderst wurde für diese Entmündigung der Bauwahn König Ludwigs angeführt und seine Teilnahmslosigkeit an den politischen Geschäften. Beachtet man aber die Zahlen, die Klaus von See in seinem Buch „Das Ende König Ludwigs II.“ vorlegt, so kosteten alle durch den König durchgeführten Baumaßnahmen zusammen 32,4 Millionen Mark.
Votivkapelle - Ferndiagnose: Geisteskrankheit
Alleine der verlorene Krieg von 1866 kostete den bayerischen Staat 51 Millionen Mark. Die Schlösser aber sind bis zum heutigen Tag eine sprudelnde Geldquelle, da sie jährlich von tausenden von Touristen besucht werden.
Am 8. Juni 1886 wurde Ludwig auf Betreiben der Regierung durch den königlichen Obermedizinalrat Bernhard von Gudden, den königlichen Hofrat Dr. Friedrich Wilhelm Hagen, den königlichen Universitätsprofessor Hubert von Grashey und den königlichen Direktor Dr. Max Hubrich aufgrund von Zeugenaussagen und ohne das ihn diese Ärzte jemals untersucht hätten für seelengestört und unheilbar Geisteskrank erklärt.
In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1886 fuhr eine Kommission nach Neuschwanstein um den König dort in Gewahrsam zu nehmen und ihn nach Schloss Linderhof zu überstellen, welches zuerst für die Internierung vorgesehen war. Diese Kommission bestand aus dem Minister Crailsheim, den Herren Holnstein und Törring-Jettenbach, Oberstleutnant von Washington, dem Legationsrat Rumpler, einem Protokollführer und den Irrenärzten Dr. Gudden und Dr. Müller. Ausserdem begleiteten noch vier Irrenpfleger die Kommission. Offiziell sollte nach der Absetzung des Königs Prinzregent Luitpold die Amtsgeschäfte übernehmen. In Wirklichkeit taten dies schon seit langem die Minister. Als die Kommission gegen Mitternacht Schloss Neuschwanstein erreichte sah sie sich einer aufgebrachten Menge gegenüber, die dem König zuhilfe geeilt war. Einer nach dem anderen wurden die Mitglieder der Kommission auf Schloss Neuschwanstein eingesperrt, jedoch schon am nächsten Tag durch den Bezirksamtsmann – ohne Wissen des Königs – wieder freigelassen. Der Bezirksamtsmann hatte am Morgen die Regentschaftsproklamation erhalten und fügte sich dem Befehl des neuen Regenten. Am Abend des 10. Juni waren alle Mitglieder der Kommission wieder in München. Nach diesem ersten, gescheiterten Versuch der Festnahme gab man Dr. Gudden recht, der schon Eingangs dagegen war, den König in dieser Angelegenheit wie einen Monarchen und nicht wie einen psychisch kranken zu behandeln. Nach dem gescheiterten Versuch der Festsetzung gab man Dr. Gudden recht und schickte nun die sogenannte Fangkommision aus, die nur noch aus Irrenärzten und Pflegern bestand. Diese traf am 11. Juni 1886 in Neuschwanstein ein und konnte den König überraschend leicht festnehmen. Am 12. Juni gegen 4:00 Uhr morgens trat König Ludwig seine letzte Reise an. Man hatte nun anders entschieden und wollte den König nicht mehr nach Linderhof sondern nach Schloss Berg am Starnberger See bringen. Dies war weiter entfernt von den widerspenstigen Alpenbewohnern, die nach wie vor hinter ihrem König standen.
Der Wagen in dem Ludwig fuhr war präpariert, so dass die Türen von innen nicht geöffnet werden konnten. Auf der Strecke von Neuschwanstein nach Berg mussten dreimal die Pferde gewechselt werden. Der letzte Wechsel erfolgte in Seeshaupt, wo der König noch nach einem Glas Wasser verlangte. Als ihm die Posthälterin dies brachte, bedankte der König sich und sagte zu ihr: „Diese Schmach überlebe ich nicht“. Am 12. Juni, 12:12 Uhr traf der König auf Schloss Berg ein. Das Schloss war in eine Privatirrenanstalt umfunktioniert worden. Spione in den Türen, die Türklinken abmontiert, verschließbare Fensterläden und so weiter. Die Ärztekommision erhob sich über den Monarchen und schrieb ihm sogar vor, wann er zu schlafen oder zu essen hatte.
Ludwig benahm sich in seiner neuen Situation völlig normal, stellte Fragen, auf die er meist nur ausweichende Antworten erhielt und fügte sich ansonsten seinem Schicksal. Am 13. Juni 1886 bat Ludwig Dr. Gudden um einen Spaziergang im Schlosspark.
Votivkapelle - Ludwigs letzter Spaziergang
Es war ein regnerischer Pfingstsonntag. Um 18:45 traten die beiden den vom König gewünschten Spaziergang an. Als sie um 20:00 Uhr noch nicht wieder zurück im Schloss waren, veranlasste der beunruhigte Dr. Müller eine erfolglose Durchsuchung des Schlossparks. Gegen 23:00 Uhr machte sich Dr. Müller in Begleitung des Schlossverwalters Huber in einem Fischerkahn auf, um den Schlosspark entlang des Seeufers abzusuchen. Schon nach Kurzem stieß Huber einen Schrei aus, als er einen toten Körper im Wasser treiben sah. Gleich darauf bemerkte man einen weiteren leblosen Körper im Wasser. Der König und Dr. Gudden waren tot! Am 14. Juni wurde in München der Tod König Ludwigs bekannt gegeben – gleichzeitig mit der Thronbesteigung Ottos. Otto aber konnte nicht regieren, da bei ihm schon seit langem eine Geisteskrankheit bekannt und diagnostiziert war. So übernahm die Amtsgeschäfte Prinz Luitpold oder besser die Minister. Welche Tragödie sich am Ufer des Starnberger Sees am Abend des 13. Juni genau zugetragen hat wird wohl nie mehr eindeutig zu klären sein. Viele Stimmen sagen, dass der König ermordet wurde und dies bei der durchgeführten Obduktion verheimlicht wurde. Um den Tod des Königs ranken sich bis heute zahlreiche Geschichten und Legenden. Das Haus Wittelsbach verweigert bis heute die Öffnung des Sarges und eine erneute Untersuchung des Leichnams. Damit schaffen sie einen idealen Nährboden für Verschwörungstheorien – oder verschleiern die wirklichen Vorfälle am Abend des 13. Juni 1886. Fast wie ein Schuldeingeständnis wirkt es, dass dem von seinem bayerischen Volk geliebten Monarchen ein Jahr nach seinem Tod, überhalb der Todesstelle, nur seine Mutter Königin Marie, eine gotische Totenleuchte errichten ließ. Erst zehn Jahre nach dem mysteriösen Ableben des Königs, 1896, veranlasste Prinzregent Luitpold den Bau einer Gedächtniskirche ebenfalls oberhalb der offiziellen Todestelle bei Berg am Starnberger See.
Die Bauzeit der Kirche, die allgemein als Votivkapelle bezeichnet wird und sich im ehemals weit ausgedehnten Park von Schloss Berg befindet, betrug vier Jahre. Sie wurde im Jahr 1900 eingeweiht. Die Gedächtniskirche im frühromanischen Stil, ist als Kuppelbau nach den Plänen des 1840 in Triest geborenen Architekten und königlichen Hofbaurates (später Oberbaurat) Julius Hofmann ausgeführt. Bislang konnten wir jedoch nicht recherchieren, wer diese Gedächtniskirche fertiggebaut hat, da Julius Hofmann im Jahr des Baubeginns verstorben ist und so die Bauleitung schlecht übernehmen konnte. Die einzige Information, die ermittelt werden konnte, ist, dass wohl der Sohn Hofmanns – Rudolf – den von seinem Vater begonnenen Bau zu Ende brachte. Der achteckige Kuppelbau aus Muschelkalk wurde von August Spieß als mit Sternen geschmückter, dunkelblauer Himmel in einer Freskomalerei ausgeführt.
Über dem Triumphbogen der Kapelle sind das bayerische Wappen und die Inschrift „Ludovicus II. Rex Bavariae“ (Ludwig II. König von Bayern) zu sehen.
Zwei Tafeln in lateinischer Schrift, die an den Seitenwänden der Vorhalle montiert sind tragen folgende Inschrift: Dem Gedächtnis Seiner Majestät Ludwig II, König von Bayern, geweiht, der nach 22jähriger Regierung zur Trauer des Vaterlandes an dieser Stelle am 13. Juni 1886 aus dem Leben schied. Leider ist über den Bau der Votivkapelle nur sehr wenig Information zu finden. Weder das Internet noch Bücher über Sehenswürdigkeiten am Starnberger See gehen näher auf den Bau oder die am Bau beteiligten Personen ein. Die von der Königinmutter gestiftet Totenleuchte wurde beim Bau der Votivkapelle in die Treppen, die zum Starnberger See hinabführen integriert.
Es stellt sich auch die Frage, warum es 10 Jahre dauerte, bis man dem in Bayern von seinem Volk so sehr beliebten Monarchen ein Denkmal setzte? Ist die Votivkirche ein Stein gewordenes Schuldeingeständnis derer, die an einer Beseitigung König Ludwigs beteiligt waren?
Die Votivkapelle bei Berg
Weitere Informationen
GPS-Koordinaten
47°57.830 min.Nord
11°20.888 min.Ost
Kontakt:
keine Angabe
Bemerkung:
keine Angabe
Öffnungszeiten:
Die Votivkapelle in Berg am Starnberger See kann von außen ganzjährig besichtigt werden
Von 1. April bis 31. Oktober ist die Votivkapelle Dienstag bis Sonntag von 9:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Sie kann dann bis zu einem Gitter hinter der Eingangstüre betreten werden. Von dort aus sieht man gut in den Innenraum. Ganz geöffnet ist die Kapelle nur zu bestimmten Fest- und Feiertagen.
Information: Wittelsbacher Ausgleichsfond, Stand 07/2018
Links zur Votivkapelle
Gemeinde Berg http://www.gemeinde-berg.de
Wittelsbacher Ausgleichsfond http://www.waf-bayern.de