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Die Seegerichtssäule von Seeshaupt am Starnberger See

Das 500 Jahre alte Rätsel am Starnberger See

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Die Seegerichtssäule – Wofür diente sie wirklich?

In Seeshaupt am Dampfersteg steht eine alte, verwitterte Säule. Die einen sagen es war eine Fischereigerichtssäule, andere behaupten es war eine Seegrenze. Wiederum andere sagen sie hätte einem ganz andere Zweck gedient. Die ersten beiden Theorien stützen sich auf die Buchstaben „S-G“, die auf der Säule zu lesen sind. Welchem Zweck aber diente die Säule aus dem Jahr 1522 wirklich? Wofür war sie aufgestellt worden? Hielten die Fischer des Starnberger Sees wirklich am Standort der Säule Gericht und sprachen ihre Urteile oder markierte sie doch eine Grenze im See? Eine Überlegung:

Der Dampfersteg in Seeshaupt, südlichster Schiffsanleger am Starnberger See. Wo in den Sommermonaten die Dampfer der Seenschifffahrt täglich Passagiere an Land gehen lassen steht nur einige wenige Meter vom Anleger entfernt die Seegerichtssäule. Stark verwittert ist die fast 500 Jahre alte Tuffsteinsäule und, das gleich vorneweg, die Säule stand nicht immer an diesem Ort. Der ursprüngliche Standort war wenige Meter unterhalb der Kirchenmauer von St. Michael. Die Säule musste beim Bau des Moussonhauses weichen und wurde an den Platz am Dampfersteg umgesetzt.

Die Seegerichtssäule – Bayern im Jahr 1522

Hadrian VI. wurde in diesem Jahr zum neuen Papst gewählt und die türkischen Osmanen belagerten unter Führung von Süleyman I. die Insel Rhodos. Herzog Albrecht IV, der Weise genannt, hatte Ober- und Niederbayern gerade (1503-1505) durch den Landshuter Erbfolgekrieg erfolgreich unter eine Herrschaft gebracht und beendete mit dem Primogeniturgesetz von 1506 die Landesteilung. 1505 war das Herzogtum Pfalz-Neuburg mit der Residenz Neuburg an der Donau entstanden, das unter Herzog Ottheinrich (1522-1557) zum südlichen Mittelpunkt der Renaissance wurde. Wahrscheinlich in Weilheim wurde ebenfalls im Jahr 1521 oder 22 aus Tuffstein eine knapp 2 Meter hohe Säule mit quadratischem Gurndriß hergestellt, die in Seeshaupt aufgestellt werden sollte. Leider ist uns der genaue Grund für das Aufstellen dieser Säule heute nicht mehr bekannt.

Die Seegerichtssäule – Wo saßen die Fischmeister?

Allgemein wird angenommen, dass die Buchstaben „S-G“ an der Seeshaupter Seegerichtssäule für „Seegericht“ stehen. Doch wurden solche Innschriften zu dieser Zeit in deutsch verfaßt? Die Fischerei war für die Einwohner von Seeshaupt von großer Bedeutung. Am Starnberger See gibt es seit damals insgesammt 99 Fischereirechte, die in den Fischerfamilien von Generation zu Generation weitervererbt werden. Wieviele davon genau in Seeshaupt und der näheren Umgebung beheimatet waren ist mir leider nicht bekannt. Was aber könnte die Fischer des Sees veranlaßt haben, gerade hier in Seeshaupt, am südlichsten Ende des Sees, Gericht zu halten? Die Fischmeister saßen in Ambach und Possenhofen. Ob dies jedoch auch schon im Jahr 1522 so gewesen ist bleibt fraglich.

Die Fischerkapelle in Possenhofen, die auch Fischmeisterkapelle genannt wird wurde urkundlich das erste Mal in einer Steuerbeschreibung der königlichen Hofmark für das Jahr 1653 erwähnt. Das ist allerdings noch gut 130 Jahre zu spät. Ab wann also saßen die Fischmeister für den Starnberger See in Ambach und Possenhofen. Anzunehmen wäre, dass wenn es die Fischmeister im Jahr 1522 schon gegeben hätte, die Fischerei-Gerichte an diesen Plätzen gewesen wären. Der See ist schon seit Urzeiten in „Oberer“ und „Unterer“-See eingeteilt. Außer der Säule in Seeshaupt wurde bislang noch an keiner anderen Stelle am Starnberger See eine weitere Säule gefunden, die einen zweiten Gerichtsplatz ausgewiesen hätte.

Die Trennlinie zwischen Oberer und Unterer See verläuft ca. von Tutzing am Westufer nach Ammerland am Ostufer. Was, wenn wir einmal annehmen, dass die Säule in Seeshaupt den Gerichtsplatz für die Fischer des oberen See dargestellt hätte.

Ein alter Stich von Richard Püttner zeigt die Seeshaupter Säule noch an ihrem ursprünglichen Standort unterhalb der Kirchenmauer von St. Michael

Ein alter Stich von Richard Püttner zeigt die Seeshaupter Säule noch an ihrem ursprünglichen Standort unterhalb der Kirchenmauer von St. Michael

Die Seegerichtssäule an ihrem jetzigen Standort nahe dem Dampferanleger in Seeshaupt. Ihre ware Bedeutung bleibt bislang ihr Geheimnis

Die Seegerichtssäule an ihrem jetzigen Standort nahe dem Dampferanleger in Seeshaupt. Ihre ware Bedeutung bleibt bislang ihr Geheimnis

Die Seegerichtssäule – Der „obere“ und der „untere“ See

Genau ist wohl nicht mehr zu ermitteln, wo genau die Fischerfamilien des Oberen See gelebt haben. Fest steht jedoch, dass einige in Seeshaupt, St. Heinrich, Ambach und Bernried beheimatet waren. Auch der kleine Ort Seeseiten wurde schon sehr früh in einer Chronik erwähnt. Auch dort könnten Fischer ansässig gewesen sein. Ebenso in Unterzeissmering und natürlich in Tutzing sofern dies noch zum Oberen See gehörte. Was also könnte die Fischer dazu veranlassen, ihre Gerichtsstätte nach Seeshaupt, an das südlichste Ende des Sees zu legen?

Konnte es sein, dass sich die Fischer am südlichsten Seeende trafen um Gerichte abzuhalten. Es fällt uns ein wenig schwer, dieser Theorie Glauben zu schenken.

Schließlich hätte dann der größte Teil der Fischer einen sehr weiten Weg zum Gerichtsplatz gehabt. Wenn man sich vorstellt, dass sich diese Fischer in selbstgebauten Holzplätten auf dem See bewegten und der See noch von Mythen umrankt gewesen ist, so wäre ein Gerichtsplatz in der Nähe von Bernried am Westufer oder bei Ambach am Ostufer doch wesentlich naheliegender. Am Starnberger See herrscht oft West- oder Ostwind, der früher auch als Franziskanerwind bezeichnet wurde, da er „über“ das Franziskaner-Kloster in Beuerberg zum See herüber wehte. Hätten die Fischer Segel an ihren Booten gehabt, so würde Seeshaupt als Standort wieder mehr Sinn machen. Dann nämlich wäre es leichter gewesen unter Segeln das Südende des Sees zu erreichen und auch wieder Richtung Norden zurückzukommen. Ansonsten wie schon erwähnt, erscheint es mir nicht schlüssig, einen Gerichtsort für den gesamten Unteren-See ganz an sein Ende zu legen.

Die Trennlinie zwischen „oberer“ und „unterer“ See verläuft ca. von Tutzing am Westufer nach Ammerland am Ostufer

Die Trennlinie zwischen „oberer“ und „unterer“ See verläuft ca. von Tutzing am Westufer nach Ammerland am Ostufer

Bei schlechtem oder windigem Wetter wäre das Südende des Starnberger Sees für die meisten Fischer am See kaum erreichbar gewesen

Bei schlechtem oder windigem Wetter wäre das Südende des Starnberger Sees für die meisten Fischer am See kaum erreichbar gewesen

Die Seegerichtssäule – Die Säule als Seegrenze

Eine weitere Deutung der Buchstaben „S-G“ ist Seegrenze. Diese Grenze soll die beiden Gerichtsbarkeiten Weilheim und Starnberg voneinander getrennt haben. Auffällig ist daran wiederum, dass niemals eine ähnliche Säule im Bereich der Stadt Starnberg beschrieben oder gefunden wurde. Wo also hätte im Norden der Zuständigkeitsbereich des Weilheimer Gerichts gegendet? Heutzutage endet der Landkreis Starnberg kurz vor Bernried. Der größte Teil des Westufers gehört also zum Landkreis Starnberg. Konnte es sein, dass dieses ganze Gebiet damals noch zu Weilheim gehörte? Ausserdem stellt sich die Frage, ob, wenn die Seeshaupter Säule das Gebiet um den Starnberger See nach der Zuständigkeit der Gerichte geteilt hätte, die Säule direkt in Seeshaupt, unterhalb der Kirchenmauer gestanden hätte. Welches gericht wäre in diesem Fall für die Seeshaupter Fischer zuständig gewesen Starnberg oder Weilheim? Oder hätten die Fischer westlich der Säule zu Weilheim gehört und die östlich der Säule zu Starnberg?

Sie sehen schon, auch dies ergibt bei genauerer Betrachtung keinen eindeutigen Sinn. Auch heute verläuft die Grenze der Landkreise Bad Tölz und Weilheim nahe der Ortschaft St. Heinrich. Seeshaupt gehört damit eindeutig zu Weilheim. Betrachtet man den Starnberger See von oben und überlegt, wie die Grenzlinie der Gerichtsbarkeiten verlaufen sein könnt, kann man folgende Überlegung anstellen: Starnberg selbst kann nur dem Gericht in Starnberg unterstanden haben. Also könnte etwa das Gebiet des Westufers bis Niederpöcking zu Weilheim gehört haben.

Es hätte sich die bislang noch nicht gefundene zweite Säule (falls es überhaupt eine Zweite gab) also am Seeufer zwischen Niederpöcking und, sagen wir dem „Bernrieder-Horn“ befinden müssen. Nur so hätte die Zuständigkeit der Gerichte eindeutig ausgewiesen werden können und die Bewohner dieser Gegend hätten gewusst, zu welchem Gericht sie gehören.

Die Seegerichtssäule – Wer ist Johann VII. Duzzinger?

Das wäre natürlich zu schön, wenn Denkmäler sprechen könnten und uns ihren tieferen Sinn selbst erklären könnten. Leider tun sie das nicht und überlassen ihre Deutung entweder unwiderlegbaren Fakten oder der Spekulation. Schauen wir uns die Säule selbst einmal genauer an. Sie ist etwa 2 Meter hoch und aus Tuffstein gemeiselt. An vielen Stellen im Internet kann man lesen, dass sie aus einem Weilheimer Tuffsteinabbau stammt. Ob diese Information allerdings belegt ist, konnten wir bislang noch nicht feststellen. Die Säule hat eine Spitze, die fast ein wenig an einen alten Militärhelm erinnert. Auf einem alten Stich ist oben auf die Spitze noch ein Kreuz aufgesetzt. Dies ist allerdings nicht mehr erhalten. Ungefähr in der Mitte sind auf allen vier Seiten der Säule Wappen in Stein gehauen. In einem dieser Wappen erkennen Fachleute die Jahreszahl 1522 (siehe Bild rechts). Leider sind jedoch die Zeichen in diesem Wappen schon sehr durch die verwitterung zerstört und nicht mehr eindeutig zu erkennen. Wenn das erste Zeichen eine „1“ sein soll, die durch einen Punkt von einer langezogenen „5“ abgertrennt ist, so müssen die beiden weiteren Zeichen, die fast aussehen das keltische Ruhnen „s“ die Ziffer „22“ darstellen. Eine „1“ und eine in die Länge gezogene „5“ kann ich noch erkennen. Bei der doppel-„2“ allerdings versagt meine Fantasie. Würde man davon ausgehen, dass die obere Rundung der Ziffer „2“ abgebrochen ist, so würde es aussehen, als wäre es eine spiegelverkehrte Zwei. Jedoch können wir uns den Haken an der rechten „2“, der optisch den Eindruck erzeugt als handle es sich um ein keltisches „s“ nicht erklären. Allerdings sind wir auch weder Geschichtswissenschaftler noch Wappenkundler. Vielleicht kann uns von Ihnen jemand helfen? Vielleicht ließt diese Geschichte ja jemand, der sich mit 500 Jahre alten Zahlen auskennt und kann uns erklären, wie man die Jahreszahl liest. Dafür wären wir sehr dankbar!

Das wäre natürlich zu schön, wenn Denkmäler sprechen könnten und uns ihren tieferen Sinn selbst erklären könnten. Das Wappen auf einer anderen Seite zeigt eindeutig den schräg stehenden Fisch des Seeshaupter Wappen (siehe Bild rechts). Beide Fische, sowohl der im Seeshaupter Wappen als auch der auf der Seegerichtssäule sind ungefähr in einem Winkel zwischen 55 Grad von links Oben nach rechts unten geneigt. Offiziell wurde Seeshaupt das Wappen erst 1951 durch Ministerialentschließung vom 19.03.1951 durch das Staatsministerium des Inneren verliehen. Das „Haus der Bayerischen Geschichte“ aber weiß in der Wappeneintragung zum Seeshaupter Wappen zu berichten, dass zwischen den Jahren 1520 und 1535 im Kloster Bernried, zu dem auch Seeshaupt gehörte ein Probst namens Johann VII. Duzzinger oder Johannes Tutzinger wirkte. Er trug in seinem persönlichen Wappen genau diesen schräg gestellten Fisch.

Die Jahreszahlen des Wirkens von Johannes Tutzinger passen auch wie die Faust auf’s Auge zu der Zeit in der die Seegerichtssäule errichtet wurde. Nur was hatte der Probst des Bernrieder Klosters mit einer Gerichtssäule in Seeshaupt zu tun, wenn diese die Zugehörigkeit zum Gericht in Weilheim symbolisierte?

Das Kloster Bernried war im Jahr 1120 durch das adelige Paar, Otto und Adelheid von Valley, gegründet worden. Diese überließen den Chorherren einen Meierhof und sein Wappen. Dieses trug übrigens 5 Glocken, die noch heute im Bernrieder Wappen stehen. Bereits zwei Jahre nach der Gründung erhielt das Bernrieder Stift die sogenannte „römische Freiheit“. Das bedeutete, dass es nicht mehr dem Augsburger Diözesanbischof unterstellt war sondern direkt dem Papst in Rom. Die darauffolgenden Jahre im Kloster Bernried waren von wirtschaftlichem Notstand geprägt. Kaiser Ludwig der Bayer versuchte diesem Notstand in Bernried entgegenzuwirken.

Sehr schwer zu entziffern: diese herausgemeiselten Reste sollen die Jahreszahl 1522 darstellen, das Jahr, in dem die Säule aufgestellt wurde

Sehr schwer zu entziffern: diese herausgemeiselten Reste sollen die Jahreszahl 1522 darstellen, das Jahr, in dem die Säule aufgestellt wurde

Der schräg stehende Fisch war auch im persönlichen Wappen von Johannes Tutzinger. Er war Probst im Kloster Bernried von 1520 bis 1535

Der schräg stehende Fisch war auch im persönlichen Wappen von Johannes Tutzinger. Er war Probst im Kloster Bernried von 1520 bis 1535

Die Seegerichtssäule – Nicht zur Orientierung geeignet!

Aber wie konnte Kaiser Ludwig der Bayer dem Notstand im Kloster Bernried entgegenwirken? Dies geschah durch Zuwendungen – wahrscheinlich finanzieler Art und das sogenannte Hofmarksprivileg, das er dem Kloster verlieh. Damit erhielt der Probst von Kloster Bernried die niedere Gerichtsbarkeit über alle Hofmarksinsassen. Dieses Privileg behielten die Bernrieder bis zur Säkularisierung im Jahr 1803. Um das Jahr 1522, in dem die Seeshaupter Seegerichtssäule errichtet wurde, dürfte Seeshaupt der Hofmark Bernried angehört haben. Wenn also das Kloster Bernried für die Einwohner von Seeshaupt zuständig war und die Seegerichtssäule am Dampfersteg das Wappen eines Bernrieder Propstes trägt, könnte man den Schluß daraus ziehen, dass es sich bei der Säule doch um eine Gerichtssäule handelte. Jedoch ist es verwunderlich, warum diese Säule dann gerade von Probst Johannes Tutzinger errichtet wurde und sein Wappen trägt, wenn die Zuständigkeit schon mehrere hundert Jahre vor Tutzinger geregelt wurde. War Johannes Tutzinger ein Probst mit übersteigertem Geltungsbewustsein? Ließ er die Säule errichten, um allen zu zeigen: „Hier habe ich das Sagen!“ Wir möchten im Sinne von Johannes Tutzinger einmal nicht davon ausgehen. Trotzdem bleibt die Frage, wie das Wappen des Probstes auf die Säule kommt und warum diese so große Wichtigkeit hatte, dass das Wappen später sogar das Ortswappen von Seeshaupt wurde. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Johannes Tutzinger, Seeshaupt und der Seegerichtssäule? Wenn Seeshaupt dem Kloster Bernried unterstellt war und Streitigkeiten oder Kriminalität durch Bernried geahndet wurden. Macht es dann einen Sinn, dass in Seeshaupt ein eigener Gerichtsplatz bereitgestellt wird? Spontan würde ich sagen nein, denn Seeshaupt und Bernried liegen nur ca. 4 Kilometer (Fußweg) auseinander. Hätte man Angeklagte oder Zeugen nicht eher nach Bernried bestellt anstatt das ganze Gericht an die Kirchenmauer von Seeshaupt zu verlegen? Wahrscheinlicher klingt das aber wer kann sich schon in die Zeit vor gut 500 Jahren hineinversetzen? Vielleicht hatte die Säule doch noch einen anderen Hintergrund.

Die Seegerichtssäule – Die Säule als Wegweiser

In manchen Artikeln, besonders im Internet ist zu lesen, dass die Säule ein Wegweiser gewesen sei. Nicht ein einfacher Straßenwegweiser sondern einer, der den Menschen auf dem Wasser die Richtung wieß. Ähnlich wie ein Leuchtturm heute. Diese Theorie halte ich für ausgeschlossen, denn wer schon einmal mit dem Schiff auf dem Starnberger See unterwegs gewesen ist, der weiß, dass man bei schönem Wetter keinen „Wegweiser“ braucht, da man das Ufer ja jederzeit sieht. Bei schlechtem Wetter oder bei Nebel wäre die Säule viel zu klein gewesen als das man sie vom See aus hätte erkennen können. Nochdazu stand sie vor einer fast gleichfarbigen Kirchenmauer. Als „Wegweiser“ hätte sie also nicht den geringsten Nutzen gehabt. Schon bei leichtem Nebel würde die Säule niemand mehr erkennen und sie wäre funktionslos. Ebenso verhält es sich bei Dunkelheit, da an der Säule keinerlei Beleuchtung vorgesehen ist. Man kann also davon ausgehen, dass die Fischersäule in Seeshaupt nicht als Wegweiser gedient haben kann. Welche Funktion oder welche Bedeutung könnte die Seeshaupter Säule aber dann gehabt haben? Über eine bestimmte Ausrichtung nach einer Himmelsrichtung ist vom alten Standort der Säule nichts bekannt oder überliefert. Bislang laufen alle Ansätze den ganauen Sinn und die Hintergründe der Seegerichtssäule zu erklären ins Leere. Werfen wir also nochmals einen Blick auf die Säule und ob dabei noch etwas zu erkennen ist.

Das Kloster Bernried. Hier war Johannes Tutzinger in den Jahren von 1520 bis 1535 Probst. Hatte er etwas mit der Seeshaupter Säule zu tun?

Das Kloster Bernried. Hier war Johannes Tutzinger in den Jahren von 1520 bis 1535 Probst. Hatte er etwas mit der Seeshaupter Säule zu tun?

In einem solchen Nebel oder einem Unwetter hätte die kleine Säule keinen Sinn gehabt. Man hätte sie einfach nicht gesehen …

In einem solchen Nebel oder einem Unwetter hätte die kleine Säule keinen Sinn gehabt. Man hätte sie einfach nicht gesehen …

Die Seegerichtssäule – Die verlorenen Schiefertafeln

Die vier wappenähnlichen Schilder, ungefähr auf halber Höhe der Säule haben wir schon betrachtet. Darauf sind der Fisch, die Buchstaben „S-G“ und angeblich die Jahreszahl zu sehen. (die vierte Seite folgt, sobald die Säule wieder aus ihrer Winterverpackung ausgepackt ist – sorry! :-) Überhalb dieser vier Wappen wird die Säule nochmals breiter. Fast wie ein kleines Vordach sieht es aus. Im oberen Drittel der Seeshaupter Säule ist auf jeder Seite eine Vertiefung zu sehen, deren obere Seite fast der Zwiebel eines Kirchturmes ähnelt. Im Gegensatz zu diesen Vertiefungen sind die Wappen in der unteren Hälfte hervorgearbeitet. Fas wie bei einer Laterne sehen die vier Vertiefungen aus. Die Vertiefungen mit der geschwungenen Spitze sind etwa 2 bis 3 Zentimeter tief. In Ihnen könnte also ursprünglich noch eine Art Tafel eingelegt gewesen sein. Vielleicht hat diese aus Holz bestanden und ist mittlerweilen nur verwittert und herausgefallen. Ausserdem zeigt ein alter Stich, dass ganz oben auf der Spitze noch ein einfaches Kreuz montiert war. Für mich stellt dieses Kreuz eine gewisse Verbindung zu etwas kirchlichem dar. Natürlich könnte man argumentieren, dass, sofern wirklich an dieser Säule gericht gesprochen wurde der Herrgott dem Richter beistehen sollte um Recht und Unrecht auseinanderhalten zu können. Oder ost dies wirklich der Bezug zum Kloster in Bernried und zum Probst Johannes Tutzinger? Was aber könnte auf den vier Tafeln gestanden haben, die vielleicht in den Vertiefungen montiert waren? Paragraphen? Gesetze? Namen? Jedenfalls sehen diese Vertiefungen an der Säule, so wie sie heute sind aus, als würde an ihnen etwas fehlen. Die Wappen darunter sind sehr aufwändig aus dem Tuffstein herausgearbeitet.

Warum hätte man dann darüber – im wesentlich markanter wirkenden Teil – einfach nur flache Vertiefungen in den Stein gehauen. Das macht für mich keinen Sinn. Ich bin mir sicher, dass in diesen Vertiefungen irgendetwas montiert gewesen ist. Vielleicht auch Metallplatten oder Marmorplatten. Auf ihnen muss etwas gestanden haben, was in den porösen Tuffstein nicht so leicht einzumeisseln war (vielleicht weil es zu fein, zu filligran war). Könnten es Namen gewesen sein? Wie bei einem Grabstein? Aber warum sollte dann ein solcher Grabstein ausserhalb der Kirchenmauer stehen, die zugleich auch die Friedhofsmauer gewesen ist. Denkt man nun an ein Begräbniss von Ungläubigen, so wird es schnell absurd. Ausserdem: wer hätte Ungläubigen eine solch aufwändige Säule hingestellt. Trotzdem sei die Frage erlaubt, warum diese Säule so knapp ausserhalb bzw. unterhalb der Friedhofsmauer stand. War auch dies nicht der ursprüngliche Standort. Wurde die Säule schon einmal umgesetzt? Gut, in knapp 450 Jahren wäre hierzu einige Zeit gewesen und vielleicht hätte es auch einige gute Gründe dafür gegeben aber ein anderer, ursprünglicher Standort als unterhalb der Kirchenmauer von St. Michael ist nirgendwo dokumentiert. Ging man vor einigen hundert Jahren an der Säule vorbei, so war man beim Passieren schon fast am See. Auf einigen alten Stichen sind dort am Seeufer einige Schiffhütten eingezeichnet, auf manchen ist das Seeufer noch frei und unbebaut. Sehr viel hat es dort als nicht gegeben. Warum stand also diese Säule eben ganu an dieser Stelle und nicht zum Beispiel in der Ortsmitte. Dies würde wieder für die Theorie sprechen, dass die Säule ausschliesslich etwas mit den Fischern oder zumindest mit dem See zu tun gehabt hatte. Informationen über die Säule sind schwer zu bekommen. Irgendwie scheint sie schon immer dort gestanden zu haben.

Die Wappen unterhalb des kleinen Vorsprungs wirken nicht als ob sie das zentrale Element der Säule gewesen wären. Eher wie eine Verzierung

Die Wappen unterhalb des kleinen Vorsprungs wirken nicht als ob sie das zentrale Element der Säule gewesen wären. Eher wie eine Verzierung

Diese Vertiefungen sehen aus, als ob in ihnen einst etwas eingelassen war. Möglicherweise eine Holz- oder Marmortafel mit einer Inschrift

Diese Vertiefungen sehen aus, als ob in ihnen einst etwas eingelassen war. Möglicherweise eine Holz- oder Marmortafel mit einer Inschrift

Die Seegerichtssäule – Die Geschichte mit den Mühlen

Bislang laufen an dieser Stelle alle Recherchen ins Leere. Es sind keine weiteren Informationen über die Seeshaupter Säule zu finden. Niemand weiß etwas genaueres und alle schreiben nur den immer wieder gleichen Text von der Gerichtssäule, an der die Fischer Recht gesprochen haben sollen. Wagen wir doch mal eine neue Theorie!

In Seeshaupt fließt der Bodenbach und die Ach, die aus den Osterseen im Süden kommt, in den Starnberger See. Hier gab es schon vor fast 400 Jahren eine Mühle und der Bodenbach, der sich kurz vor dem Starnberger See mit der Ach vereinigt hieß damals noch Mühlbach. Das nur nebenbei. Wichtiger ist, dass in Starnberg die Würm aus dem See fließt. Darum hieß der Starnberger See auch bis 1962 Würmsee. Nachdem die Würm in Starnberg den See verlassen hat, schlängelt sie sich durch das Leutstettener Moos und fließt dann östlich um den Karlsberg, auf dem früher einmal die Karlsburg stand, in das Mühltal. Dem Namen nach zu urteilen gab es im Mühltal mehr als nur eine Mühle. Vielleicht gab es dort noch vor mehreren hundert Jahren soetwas wie eine ganze Mühlenindustrie, die das Getreide für das Umland mahlten. Sicherlich war es für diesen Wirtschaftszwei sehr von Bedeutung, mit wieviel Wasser die Würm aus dem Starnberger See gespeist wurde. Mehr Wasser bedeutete mehr Energie also auch mehr Effizienz und einen höheren Durchsatz. Wenn man älteren Menschen zuhört, die ihr Leben lang am oder um den Starnberger See gewohnt haben, dann wird man feststellen, dass schon diese noch lebenden Zeitgenossen davon berichten, dass der Pegel des Starnberger Sees in früheren Zeiten höher gewesen ist als heute. Der See verliert also an Wasser. Gut werden Sie nun sagen, der Starnberger See war ja auch einmal sehr groß.

Ja, nach der letzten Eiszeit. Nach dem Abschmelzen der Gletscher erstreckte sich der Starnberger See im Süden fast bis Penzberg und ging dort in das Becken deds Wolfratshausener Sees über. Aber wir wollen gar nicht so weit in der Zeit zurückreisen. Noch auf Karten aus dem 16. Jahrhundert ist zwischen Seeshaupt und St. Heinrich oft eine größere Bucht eingezeichnet. Gut, dies könnte zum einen an der Ungenauigkeit der Karten liegen (wobei diese dann schon sehr unganau gezeichnet wären) oder daran, dass sich das sumpfige Gelände sehr schlecht vermessen ließ und es einfach als Wasserfläche in die Karten gezeichnet wurde. Das Land ist dort sehr flach und eine Pegeländerung von ca. 1,5 bis 2 Metern reicht aus um hunderte von Metern See „verschwinden“ zu lassen. Auch die Osterseen unterscheiden sich in ihrem Höhenniveau nur geringfügig vom Starnberger See. Ein zwei bis vier Meter höherer Wasserstand würde reichen und der Starnberger See ginge fast bis Iffeldorf.

Könnte es also sein, dass zum Betrieb der Mühlen im Mühltal die „Schleusen“ des Starnberger Sees immer weiter geöffnet wurden um genug Wasser zum Betrieb der Mühlen durch die Würm fließen zu lassen? Nehmen wir an, dass vielleicht noch vor dem Jahr 1500 der Starnberger See bis weit in das Gebiet der Osterseen hineingereicht hat und das Gebiet langsam zu verlanden begann und sich Schilf ansiedelte. Dann wären es sicherlich die Anwohner von Seeshaupt gewesen, denen dies als Erstes aufgefallen wäre. Vielleicht wurden schon vor 1522 Bittgesuche an das Kloster gestellt, man möge sich der Problematik annehmen, stieß jedoch auf Taube Ohren. Natürlich hätte dies die vielen Fischersfamilien in Seeshaupt sehr erzürnt, hing doch ihre Existenz vom Fischfang also vom See ab. Nachdem die Witelsbacher, die schon lange entlang der Würm Richtung München angesiedelt waren um das 13. Jahrhundert die Grafen von Andechs-Meran vertrieben hatten, übernahmen sie das Gebiet nördlich des Starnberger Sees.

Mehr Wasser bedeutet mehr Energie und desto besser arbeiten Mühlen. Kann es sein, dass darum mehr Wasser durch die Würm abgelassen wurde?

Mehr Wasser bedeutet mehr Energie und desto besser arbeiten Mühlen. Kann es sein, dass darum mehr Wasser durch die Würm abgelassen wurde?

Unter der Nepomukbrücke hindurch fließt die Würm aus dem Starnberger See ab durch das Leustettener Moos und danach in das Mühltal nach Gauting

Unter der Nepomukbrücke hindurch fließt die Würm aus dem Starnberger See ab durch das Leustettener Moos und danach in das Mühltal nach Gauting

Die Seegerichtssäule – Die Geschichte mit den Mühlen

Was nun passiert wäre, wenn ein paar arme Fischer aus Seeshaupt bei den Wittelsbacher, die zu dieser Zeit Kurfürsten von Bayern gewesen sind, vorstellig geworden wären und sich darüber „beschwert“ hätten, das der See langsam ausläuft. Wahrscheinlich wären sie ausgelacht worden. So leicht ist es ja auch nicht nachzuweisen, dass der Pegel eines Sees kontinuierlich sinkt. Der Starnberger See hat in manchen Jahren einen niedrigen und in manchen Jahren einen hohen Pegelstand. Je nachdem wie das Wetter in diesem Jahr gewesen ist. Wahrscheinlich hätten auch die Wittelsbacher so argumentiert. Es war halt eine trockene Zeit und das Wasser kommt schon wieder zurück, wenn es nur genug regne. Was aber wenn die Seeshaupter Fischer weiterhin beobachten konnten, dass der Pegel des Sees immer weiter sank. Zwischen Seeshaupt und St. Heinrich hätte man dies sehr gut beobachten können. Das Ufer wäre langsam in Richtung Norden abgewandert. Die Fischer wussten, dass das Gelände an dieser Stelle sehr flach abfällt und es war eine Stelle, die sie sowohl zu Fuß als auch mit ihren Plätten gut erreichen konnten um sich immer wieder zu vergewissern, dass auch nach regenreichen Tagen oder Wochen das Ufer nicht soweit zurückkehrte wie es einmal gewesen ist. Irgendwann wäre aus ihrer Vermutung Gewissheit geworden und sie hätten mit Sicherheit sagen können, dass der See sich absenke und Wasser verliert. Nun hätten Sie sich wahrscheinlich an das Kloster in Bernried gewandt um an dieser, für sie zuständigen Stelle erneut um Rat zu bitten. Dort hätten Sie vielleicht um das Jahr 1520 beim amtierenden Probst Johannes Tutzinger ein offenes Ohr gefunden. Wie der Probst mit den Wittelsbachern stand ist nicht überliefert aber Kurfürsten und Pröbste, die nur Rom direkt unterstellt waren, müssen nicht beste Freunde gewesen sein. Wenn nun Johannes Tutzinger den Fischern in Seeshaupt geglaubt hätte (vielleicht hatte er die Vermutung über den auslaufenden See auch schon von anderer Seite gehört), hätte er wahrscheinlich überlegt, wie man den Fischern helfen könnte. Probst Johannes Tutzinger war zu dieser Zeit gerade neu in seinem Amt und wir wissen nicht, ob er sich vor seinem Amtsantritt schon in der Gegend um den Starnberger See aufgehalten hatte. Darum wäre es möglich, dass er den Fischern einfach geglaubt hat ohne das „verschwindende“ Wasser selbst zu beobachten. Nun hätte sich ein Probst nicht aufgrund der Aussage von ein paar Fischern mit den Kurfürsten angelegt. Aber vielleicht war Tutzinger ein erfinderischer Probst und hatte eine Idee: Wir lassen in den Tuffsteinbrüchen von Weilheim eine Säule fertigen, die zum Zeichen ihrer Amtlichkeit sein Wappen trägt.

Eine solch wichtige Angelegenheit wie das Abfließen eines Sees hätte auch den Aufwand gerechtfertigt. Diese Säule wird in Seeshaupt aufgestellt, wo die Fischer ihr Wasser im warsten Sinne des Wortes davonrinnen sahen. Die Säule trägt das Jahr in dem sie aufgestellt wurde und nach einigen Jahren wird sich zeigen, ob die Seeshaupter Fischer mit ihrer Vermutung Recht hatten. Man hätte anhand der Säule sehen können, ob der Pegel des Starnberger Sees nur aufgrund des Wetters schwankt oder ob das Wasser immer weiter zurückgeht und nicht wiederkommt. Möglicherweise wäre der Rückgang schon relativ kurze Zeit später zu sehen gewesen, was erklären würde, warum der ursprüngliche Standort der Säule relativ nah am Wasser gewesen ist. Das Kreuz auf der Säule wäre für den göttlichen Segen gestanden, den diese ganzen Geschichte durch den Bernrieder Probst Johannes Tutzinger bekommen hätte.

Das Gebiet der Osterseen, südlich des Starnberger Sees, liegt nur etwa 2 bis 4 Meter höher als der See selbst. Führte das Ablassen des Sees zu Verlandung?

Das Gebiet der Osterseen, südlich des Starnberger Sees, liegt nur etwa 2 bis 4 Meter höher als der See selbst. Führte das Ablassen des Sees zu Verlandung?

Südlich des Starnberger Sees: Im Hintergrund ist Schilf zu sehen. Etwa ein knapper Meter mehr Wasser im See reicht, um das Gelände zu überfluten

Südlich des Starnberger Sees: Im Hintergrund ist Schilf zu sehen. Etwa ein knapper Meter mehr Wasser im See reicht, um das Gelände zu überfluten

Die Seegerichtssäule bewahrt ihr Geheimnis

Ob diese Geschichte nun plausibler ist, als alle anderen Varianten, Deutungen oder Erzählungen, die Sie, liebe Leserinnen und Leser jemals über die Seeshaupter Seegerichtssäule oder wie immer man sie nennen möchte, das bleibt alleine Ihnen überlassen. Die Geschichte, die Sie gerade gelesen haben erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit noch darauf, dass sich die Geschichte um die Seeshaupter Tuffsteinsäule wirklich wie auf den vorangegangenen Seiten erzählt, zugetragen hat. Wenn Sie Informationen, Bilder, Stiche oder etwas Ähnliches in Ihrem Besitz haben, das in das Puzzle um die Seeshaupter Säule paßt, dann sind Sie herzlich eingeladen, dieses Wissen mit uns zu teilen. Wir werden dann versuchen diese neuen Details und Erkenntnisse in diese Geschichte mit einzubauen oder sie ganz neu zu schreiben. Vielleicht kann irgendwann noch genau geklärt werden, wie es zu diesem Denkmal kam, welche Funktion es erfüllte, welche Menschen an der Errichtung beteiligt gewesen sind und welches Geheimnis genau hinter der Seeshaupter Säule steckt.

Wir freuen uns schon auf Ihre Nachrichten, Tipps und Meinungen zur Seeshaupter Säule.

Ihr Team von fuenfseenland.de

Die Seegerichtssäule von Seeshaupt

GPS-Koordinaten

47°49’31.2″ Nord

11°18’12.7″ Ost

Nur das „g“ ist von den stark verwitterten Buchstaben noch zu erkennen. Das „S-G“ soll für Seegericht oder Seegrenze gestanden haben

Nur das „g“ ist von den stark verwitterten Buchstaben noch zu erkennen. Das „S-G“ soll für Seegericht oder Seegrenze gestanden haben

Direkt am Dampferanleger in Seeshaupt hat die Seegerichtssäule ihren neuen Standort. Ein zentraler Platz. Warum stand sie früher nicht hier?

Direkt am Dampferanleger in Seeshaupt hat die Seegerichtssäule ihren neuen Standort. Ein zentraler Platz. Warum stand sie früher nicht hier?